Das Einheitliche Patentgericht (EPG) hat am 01. Juni 2023 seine Arbeit aufgenommen und damit ist das jahrelange Tauziehen um das erste grenzüberschreitend zuständige europäische Zivilgericht beendet. Erster Präsident des EPG-Berufungsgerichts ist Klaus Grabinski.
Der Weg zum Einheitlichen Patentgericht war voller Stolpersteine. Nachdem das Bundesverfassungsgericht einer ersten, 2017 eingereichten Verfassungsbeschwerde gegen das Zustimmungsgesetz zum Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht wegen Formmängeln stattgegeben hatte, musste das Gesetz in Deutschland erneut den Ratifizierungsprozess durchlaufen. Ein neuer Rückschlag folgte Ende 2020 mit zwei weiteren Verfassungsbeschwerden, die aber scheiterten. Schließlich konnte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Gesetz unterschreiben – am 12. August 2021 wurde es veröffentlicht. Als vorläufig letzte Hürde aus deutscher Sicht wurde dann im September 2021 noch das Protokoll zur vorläufigen Anwendung des Übereinkommens über ein Einheitlichen Patentgerichts ratifiziert. Am 17. Februar 2023 hat Deutschland schließlich den Ratifizierungsprozess des Übereinkommens über ein Einheitliches Patentgericht abgeschlossen, womit das Gericht am 1. Juni 2023 seine Arbeit aufnehmen kann.
Die Strukturen des Einheitlichen Patentgerichts
Das Einheitliche Patentgericht, das ein Gericht erster Instanz, ein Berufungsgericht und eine Kanzlei umfasst, wird für die Streitigkeiten in Verbindung mit Einheitspatenten und europäischen Patenten zuständig sein. Für eine Übergangszeit von sieben Jahren gibt es jedoch die Möglichkeit, seine Zuständigkeit für ein klassisches europäisches Patent durch eine entsprechende Erklärung auszuschließen.
Das Gericht erster Instanz besteht aus einer Zentralkammer in Paris mit einer Außenstelle in München und einer in Mailand als Ersatz für die Londoner sowie mehreren Lokal- und Regionalkammern in den Vertragsstaaten. Düsseldorf, Hamburg, Mannheim und München sind die Standorte der deutschen Lokalkammern. Das Berufungsgericht wird in Brüssel seinen Sitz haben.
Für Nichtigkeitsklagen, negative Feststellungsklagen und Klagen gegen Entscheidungen des Europäischen Patentamtes in Bezug auf Verwaltungsaufgaben ist ausschließlich die Zentralkammer zuständig. Verletzungsklagen und Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz können bei den Lokal- bzw. Regionalkammern oder der Zentralkammer eingereicht werden.
Vorgesehen ist zudem eine Wahlfreiheit zwischen dem in Deutschland üblichen Trennungsprinzip, wo Verletzungs- und Nichtigkeitsklage separat verhandelt werden, sowie dem in angelsächsischen Ländern gängigen Verbundsystem.
Unklar ist zum jetzigen Zeitpunkt noch die Ausstattung der nationalen Eingangsinstanzen, insbesondere wie viele Spruchkörper an den Lokal- und Regionalkammern benötigt werden. Das wiederum hängt von der Anzahl der Streitverfahren ab.
Die Jahresgebühren
Die fälligen Verlängerungsgebühren für das EU-Einheitspatent werden sich an der sogenannten „True Top 4“-Lösung orientieren, also den Gebühren in den vier anmeldestärksten EU-Mitgliedsstaaten. Das waren zum Zeitpunkt der Festlegung Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande. Damit entsprechen die zukünftigen Gebühren für das Einheitspatent den in den „True Top 4“-Ländern erhobenen Gebühren zur Aufrechterhaltung eines europäischen Bündelpatents über die maximal mögliche Laufzeit von 20 Jahren. Gültigkeit hat das einheitliche Patent dann für die 24 teilnehmenden EU-Mitgliedsstaaten. Spanien hat sich nicht beteiligt. Die Jahresgebühr ist ab dem zweiten Jahr zu zahlen, vorab entstehen noch Kosten für die eigentliche Anmeldung und die Erteilung des Patents.
Auf die Verteilung der Gebühren hat man sich mittlerweile auch geeinigt: 50% gehen an das Europäische Patentamt (EPA), die andere Hälfte soll unter den teilnehmenden Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden.
Deutlich geringer als im bisherigen europäischen Patentsystem werden im Normalfall die Übersetzungskosten für das Einheitspatent ausfallen, da eine Begrenzung auf die drei Amtssprachen Deutsch, Englisch und Französisch vorgesehen ist. Validierungsgebühren fallen keine an.
Voraussetzungen für Patentanwälte bei einer Vertretung vor dem EPG
Diverse Qualifikationen ermöglichen einem in Deutschland zugelassenen Patentanwalt Mandanten vor dem Einheitlichen Patentgericht vertreten zu können.
Das European Patent Litigation Certificate setzt einen mindestens 120 Stunden umfassenden Ausbildungskurs voraus, der Grundlagenwissen zu folgenden Themen beinhaltet: Allgemeine Einführung ins Recht, insbesondere Europäisches Recht sowie Privatrecht und Internationales Privatrecht. Die Rolle des Europäischen Gerichtshofes und relevante Entscheidungen im Patentrecht werden genauso Bestandteil des Kurses sein wie die Durchsetzung von Patenten, EU-Patentverordnungen (1257/2012 und 1260/2012) und Internationale Patentverletzungs- und Nichtigkeitsverfahren. Und natürlich werden das Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht (EPGÜ) sowie die Verfahrensführung vor dem Einheitlichen Patentgericht thematisiert.
Die Ablegung einer schriftlichen und mündlichen Prüfung ist Voraussetzung für das European Patent Litigation Certificate. Den Kurs können sowohl Universitäten und andere nicht-kommerzielle Ausbildungsorganisationen anbieten, wie auch das Richtertrainingszentrum des Einheitlichen Patentgerichts in Budapest.
Europäische Patentanwälte, die über einen Bachelor- oder Masterabschluss in Rechtswissenschaften oder einen vergleichbaren Abschluss verfügen, benötigen keine Zusatzqualifikation.
Eine einjährige Übergangszeit ab Inkrafttreten des EPGÜ ermöglicht Patentanwälten, wenn sie als European Patent Attorney vor dem Europäischen Patentamt zugelassen sind, sich mit bereits absolvierten Zusatzausbildungen als zugelassene Vertreter beim EPGÜ eintragen zu lassen. Folgende Kurse bzw. Zertifikate sind bisher namentlich erwähnt:
- Centre d’Études Internationales de la Propriété Intellectuelle: „Diploma on Patent litigation in Europe“ oder „Diploma of international studies in industrial property (specialized in patents)“
- FernUniversität in Hagen: “Recht für Patentanwälte”, “Kandidatenkurs Fischbachau”
- Humboldt-Universität zu Berlin: “Zusatzstudium Gewerblicher Rechtsschutz“
- Nottingham Law School: “Intellectual Property Litigation and Advocacy”
- Queen Mary University of London: “Certificate in Intellectual Property Law” und “MSc Management of Intellectual Property”
- Intellectual Property Regulation Board: “Intellectual Property Litigation Certificate”; “Higher Courts Litigation Certificate” und “Higher Courts Advocacy Certificate”
- Stichting Beroepsopleiding Octrooigemachtigden, “Beroepsopleiding Octrooigemachtigden”
- Hungarian Intellectual Property Office: “Advanced Course in Intellectual Property”
- Università degli Studi di Milano, “Corso di Perfezionamento in Brevettistica”;
- University of Warsaw, “Podyplomowe Studium Prawa Własności Przemysłowej”
Und schließlich besteht die Möglichkeit, sich durch die alleinige Vertretung in mindestens drei Patentverletzungsverfahren in den vergangenen fünf Jahren zu qualifizieren. Für deutsche Patentanwälte ist diese Regelung jedoch irrelevant.
Die Richter am Einheitlichen Patentgericht
Die Auswahl der Richter ist abgeschlossen. Das offizielle Bewerbungsverfahren startete am 9. Mai 2016. Unter den Bewerbern wählte der EPG-Verwaltungsausschuss dann die Richter aus. Grundsätzlich wird zwischen rechtlich und technisch qualifizierten Richtern unterschieden. Erstere müssen die für die Berufung in ein richterliches Amt in einem Vertragsmitgliedstaat erforderliche Qualifikation sowie nachgewiesene Erfahrung auf dem Gebiet der Patentstreitigkeiten haben. Technisch qualifizierte Richter müssen über einen Hochschulabschluss und nachgewiesenen Sachverstand auf einem Gebiet der Technik sowie über belegte Kenntnisse des für Patentstreitigkeiten relevanten Zivil- und Zivilverfahrensrechts verfügen.
Klaus Grabinski wurde zum ersten Präsidenten des Berufungsgerichts des Einheitlichen Patentgerichts ernannt, als Präsidentin des Gerichts der ersten Instanz die Französin Florence Butin. Das EPG verfügt über insgesamt 85 Richterinnen und Richter, darunter 34 rechtlich und 51 technisch qualifizierte Richter.
Ziel erreicht!
Durch den Brexit und die Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht hatte sich der Ratifizierungsprozess und damit der Starttermin des neuen Gerichts deutlich in die Länge gezogen. Das ist nun Geschichte. Das Einheitliche Patentgericht ist seit Juni 2023 in einem einheitlichen Verfahren für alle beteiligten EU-Mitgliedstaaten für die Verletzung und Gültigkeit von Patenten nach dem Europäischen Patentübereinkommen sowie dem neuen EU-Einheitspatent zuständig. 17 Staaten sind an dem neuen europäischen Patentsystem beteiligt: Deutschland, Frankreich, Belgien, Bulgarien, Dänemark, Estland, Finnland, Italien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Österreich, Portugal, Schweden und Slowenien.