In Zusammenhang mit dem Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts prüft das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz derzeit, wie eine bessere Synchronisation der Nichtigkeit- und Verletzungsverfahren zu erreichen ist. Hierzu hat das BMJV einen Fragenkatalog zu einer etwaigen Modifizierung des § 81 Absatz 2 Satz 1 PatG erstellt, zu dem der BDPA Stellung genommen hat.
Der Bundesverband Deutscher Patentanwälte begrüßt das Ziel der geplanten Gesetzesänderungen, die Verletzungsverfahren vor den Zivilgerichten und die Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht künftig besser zu synchronisieren, insbesondere um die sich aus der sog. „Litigation Gap“ ergebenden Probleme zu lösen.
Zu den einzelnen Fragen nimmt der Bundesverband Deutscher Patentanwälte wie folgt Stellung:
A. Praktisches Bedürfnis für eine Modifizierung des $ 81 Absatz 2 Satz 1 PatG
Zu A.1.a) wird die im Einleitungssatz zu A. 1. dargelegte Auffassung im Ergebnis nicht geteilt. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass die Patente „häufig sehr alt sind“, lässt sich nach Auffassung des BDPA nicht herleiten, dass § 81 Abs. 2 S. 1 PatG der Erhebung einer Nichtigkeitsklage nur selten entgegenstehen dürfte. Insbesondere gelte dies für deutsche Patente.
Viele Patente werden erst nach sehr langer Zeit erteilt. Der Einleitungssatz wird so aufgefasst, dass ausgesagt werden soll, dass sich Verletzungsklagen häufig gegen Patente mit lange zurückliegendem Anmeldetag richten. Entscheidend für die Beurteilung der vorliegenden Frage ist nach Auffassung des BDPA jedoch die Frage, wie lange das Erteilungsdatum der jeweiligen Patente zurückliegt. Denn ab diesem berechnet sich die Einspruchsfrist von neun Monaten und ab diesem Zeitpunkt kann im Falle eines anhängigen Einspruchsverfahrens keine Nichtigkeitsklage erhoben werden. Von daher erscheint die im Einleitungssatz dargelegte Schlussfolgerung aus Sicht des BDPA bereits an der falschen Stelle anzusetzen.
Jedenfalls sind jedoch aus der Rechtsberatung eine Vielzahl Fälle bekannt, bei denen sich § 81 Abs. 2 S. 1 PatG negativ auf die Handlungsmöglichkeiten einer potentiell patentverletzenden Partei ausgewirkt hat. Diese Auswirkungen sind keinesfalls auf die Fälle zu beschränken, in denen tatsächlich Verletzungsklagen erhoben worden sind oder auch nur im Wege einer wirksamen Abmahnung angedroht worden sind. Gerade im Patentrecht agieren Parteien häufig sehr zurückhaltend, beispielsweise im Wege der sogenannten Berechtigungsanfragen, wohl wissend, dass diese bereits aufgrund der Abschreckungswirkung, die Patente häufig auch ohne die konkrete Androhung einer Klage entfalten, eine ganz erhebliche Beeinträchtigung der adressierten Partei darstellen können.
Es liegen dem BDPA zu Frage A.1.b) noch keine Daten in statistisch repräsentativem Umfang vor. Es wurde jedoch stichprobenartig ein qualitatives Meinungsbild bei einer Mehrzahl Kollegen eingeholt. Demnach scheinen 20 – 40 % der bearbeiteten Fälle von dieser Konstellation betroffen.
Zu A.1.c) liegen ebenfalls keine statistisch belastbaren Daten vor. Der BDPA würde eine solche Statistik auch für fragwürdig und wenig aussagekräftig halten, da das Verhältnis der Häufigkeiten von Patentverletzungsverfahren und Einspruchsverfahren von Branche zu Branche stark unterschiedlich ist. Eine branchenübergreifende Einschätzung scheint demnach wenig aussagekräftig.
Zu A.2.) ist vorauszuschicken, dass sich das Einspruchsverfahren von der Nichtigkeitsklage insbesondere im Hinblick auf verfahrensrechtliche Fragen und deren Auswirkungen signifikant unterscheidet. Konkrete Vorteile können hierbei durchaus von der Fallkonstellation abhängen. So ist z.B. bei der Geltendmachung einer offenkundigen Vorbenutzung die Beweisführung in einem Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt oft durch die dortigen Gepflogenheiten im Umgang mit diesen Fallkonstellationen erheblich erschwert.
Zu A.2.a) liegen uns keine belastbaren statistischen Erkenntnisse vor. In der Praxis kommt dem Hinweis nach § 83 PatG für die Frage der Entscheidung über die Aussetzung eine gewisse Bedeutung zu. Einen ähnlichen Hinweis gibt es zwar auch im Einspruchsverfahren mit dem Ladungszusatz. Dieser ist jedoch häufig wenig ausführlich. Auch wird er oft lediglich von einem berichterstattenden Mitglied erstellt und spiegelt daher nicht die Ansicht des mit dem Fall befassten vollständigen Spruchkörpers wieder. Es kommt in der Praxis häufig vor, dass dieser im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu einem anderen Ergebnis kommt, als im Ladungszusatz geäußert. Auch was die Qualität der Ladungszusätze in Einspruchsverfahren angeht, sind die in der Praxis entstandenen Eindrücke höchst unterschiedlich. Viele weisen im Grunde keinen greifbaren Inhalt im Sinne einer Beurteilung der Sachlage auf, es wird vielmehr lediglich darauf hingewiesen, dass beispielsweise „die Frage der erfinderischen Tätigkeit zu erörtern ist“. Das Spektrum der dem BDPA bekannten Erfahrungsberichte geht hier sehr weit auseinander. Da es nach Auffassung des BDPA weniger auf statistische Betrachtungen ankommt, sondern eher auf die Frage, wie sich dies in Zukunft entwickeln wird, erscheint im Hinblick auf die Aussetzungsmöglichkeit des Verletzungsverfahrens die Nichtigkeitsklage klar im Vorteil, da der entsprechende Hinweis hier konkret gefordert wird. Es ist daher zu erwarten, dass sich – auch zukünftig – eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens höchst wahrscheinlich leichter durch die Erhebung eine Nichtigkeitsklage erwirken lassen wird, als im Rahmen eines Einspruchsverfahrens.
Zu A.2.b) geht der BDPA davon aus, dass die Situation des Beitretenden im Einspruchsverfahren gemeint ist. Dieser muss natürlich damit rechnen, eine für ihn nachteilige Situation vorzufinden. Sein Beitritt kann beispielsweise vor dem Europäischen Patentamt in einem Verfahrensstadium erfolgen, in dem über bestimmte Fragen bereits abschließend entschieden, das Einspruchsverfahren jedoch noch nicht beendet ist. Insbesondere vor dem Hintergrund der rigiden Handhabung der Verspätungsvorschriften vor dem Europäischen Patentamt ist es leicht möglich, dass der Beitretende in eine wesentlich ungünstigere Situation gelangt, als wenn er eine Nichtigkeitsklage erhoben hätte.
Zu A.2.c) Der Vorteil des unmittelbaren Zugangs zu Nichtigkeitsklage liegt insbesondere im Zugang zu einer signifikant „offensiveren“ Verteidigungsmöglichkeit, als es das Einspruchsverfahren darstellt. Gerade in mittelständisch geprägten Branchen, wie beispielsweise dem Maschinenbau, ist es aufgrund einer dort vorherrschenden geringeren „Klagefreudigkeit“ häufig Usus, vor dem Erheben einer Verletzungsklage zunächst die Einspruchsfrist und gegebenenfalls ein Einspruchsverfahren abzuwarten. In den häufig hochspezialisierten Branchen sind derartige Konstellationen, in denen eine mögliche zukünftige Patentverletzungsklage im Raum steht, häufig branchenbekannt. Dies kann dann dazu führen, dass Investitionen nicht getätigt werden, bzw. dass Produkte, die im Verdacht einer möglichen Patentverletzung stehen, zunächst gemieden werden, da man spätere Patentverletzungsklagen fürchtet. In derartigen Konstellationen würde die Möglichkeit, nach der Patenterteilung zügig eine Nichtigkeitsklage zu erheben oder zum Zwecke einer Einigung zumindest androhen zu können, eine Chance einer schnellen Klärung einer solchen unbefriedigenden Situation für einen vermeintlichen Verletzer eines zu Unrecht erteilten Patents herbeiführen.
Gerade im Hinblick auf außergerichtliche bzw. vorgerichtliche Fragestellungen ist die Nichtigkeitsklage kaum mit dem Einspruch vergleichbar. Zum einen besteht hier für den Nichtigkeitskläger ein Kostenerstattungsanspruch, der ihm im Einspruchsverfahren nicht zur Verfügung steht. Weiterhin unterliegt die Nichtigkeitsklage der Dispositionsmaxime, der Nichtigkeitsklägerin soll ja gerade nicht in die Rolle des „Anwalts der Allgemeinheit“ gezwungen werden. Während im Einspruchsverfahren in der Regel das gesamte Patent Gegenstand der Verhandlung ist, kann ein Nichtigkeitskläger ein Patent nur in dem Umfang angreifen, indem es für die eigenen Interessen notwendig ist. Hieraus kann in der Praxis ein eingeschränkter Streitgegenstand resultieren, der in Folge mit einer Reduzierung der Arbeitsbelastung für alle am Verfahren Beteiligten einhergehen und so auch eine Beschleunigung der Verfahren ermöglichen kann. Auch kann die Möglichkeit des Klägers, das Verfahren durch Klagerücknahme zu beenden, sich vorteilhaft auf mögliche Vergleiche nach Klageerhebung auswirken, was die beteiligten Gerichte ebenfalls entlasten würde.
B. Mögliche rechtliche Ausgestaltung einer Modifizierung des § 81 Absatz 2 Satz 1 PatG
Zu B.1.a) Der vorgeschlagenen Regelung steht der BDPA kritisch gegenüber. Es ist unklar, was darunter zu verstehen ist, dass jemand wegen der Verletzung eines Patents „in Anspruch genommenen“ wird. Gerade vor dem Hintergrund, dass bei Patentverletzungen oftmals in eng vernetzten Branchen Situationen entstehen können, in denen eine Patentverletzung „im Raum steht“, was bereits mit erheblichen Auswirkungen verbunden sein kann, ohne dass es zu einer direkten Inanspruchnahme kommt, erscheint dem BDPA die Abgrenzung unpraktikabel. Es kann auch ohne eine formal wirksame Inanspruchnahme eine erhebliche Beeinträchtigung einer Partei durch ein zu Unrecht erteiltes Patent gegeben sein. Aufgrund der nicht unerheblichen Kostenrisiken wird jedoch auf der anderen Seite niemand leichtfertig eine Nichtigkeitsklage erheben, so dass aus praktischer Sicht wohl keine Vorteile mit sich bringen würde, nicht in Anspruch genommene Parteien am Erheben von Nichtigkeitsklagen zu hindern. Es wäre daher aus Sicht des BDPA in jedem Fall sinnvoller, den § 81 Abs. 2 S. 1 PatG generell entfallen zu lassen.
Zu B.1.b). Nach Auffassung des BDPA sollte die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen der Rechtsprechung überlassen werden. Aus Sicht des BDPA bedarf es hierfür keiner gesetzlichen Regelung.
Grundsätzlich sind sich widersprechende Entscheidungen im Nichtigkeitsverfahren und Einspruchsverfahren bereits jetzt möglich. Nach der bisherigen Rechtsprechung, z.B. BGH X ZR 29/93 „Zahnkranzfräser“, entsteht durch die Entscheidung im Einspruchsverfahren keinerlei Bindungswirkung für die Entscheidung im Patentnichtigkeitsverfahren. Ein im Einspruchsverfahren aufrechterhaltenes Patent kann aus bereits im Einspruchsverfahren geltend gemachten Gründen im Nichtigkeitsverfahren widerrufen werden, beispielsweise weil die Frage der erfinderischen Tätigkeit bei gleichem vorliegenden Stand der Technik unterschiedlich bewertet wird. Diese grundlegenden materiellrechtlichen Probleme konnte die Rechtsprechung bereits in der Vergangenheit lösen. Lediglich die Tatsache, dass sich die Verfahren nunmehr zeitlich überschneiden können, könnte zu neuen verfahrensrechtlichen Detailfragestellungen führen. Diese können jedoch durch die Rechtsprechung besser und effizienter gelöst werden als durch eine gesetzgeberische Vorgabe.
Zu B.2) ist der BDPA der Auffassung, dass eine gesetzliche Regelung, die verhindert, dass eine Nichtigkeitsklage aufgrund eines Einspruchsverfahrens ausgesetzt wird (oder auch der umgekehrte Fall) sinnvoll erscheint. Eine ausdrückliche Regelung, dass eine Aussetzung nach § 148 ZPO nicht aufgrund eines parallelen Einspruchsverfahrens stattfindet, wäre nach Auffassung des BDPA lediglich vorteilhaft. Der BDPA ist der Auffassung, dass dies das gesamte Nichtigkeitsverfahren betrifft, nicht lediglich eine Aussetzung vor der Erteilung des rechtlichen Hinweises nach § 83 Abs. 1 PatG.